KUNST UND KULTUR
AUTORIN
Corinna Blümel
ist freiberufliche
Journalistin
in Köln
Im November
1924 erreichte
ein Güterzug
aus Thüringen
das
Stadtgebiet,
beladen
mit einem Stück hoher
Glockengießerkunst
von rund 24 Tonnen
Gewicht
und 322 Zentimetern
Durchmesser.
Und wer immer
die Fracht begleitet
hat, wusste beim Anblick
des
Doms: Der Glockenstuhl
des Südturms
war Zielpunkt
der Reise,
dort würde
die St. Petersglocke
ihre Heimat
finden.
Hier hängt sie bis heute,
von den Kölner
liebevoll
der „Dicke Pitter“
genannt.
Als „Herzschlag
der Stadt“ hat die ehemalige
Dombaumeisterin
Barbara Schock-Werner das bedächtige
Läuten
mal
bezeichnet
– ein ruhiger,
sehr dunkler
Ton, dessen
tiefste
Resonanzen
weit über die Stadt tragen.
Zu hören
ist er aber nur bei
wenigen
Gelegenheiten
im Jahr.
Der Dicke Pitter gehört
nicht zu den „normalen“
Kirchturmglocken,
die Christen
in der ganzen
Welt zum Gottesdienst
rufen
oder in
früheren
Zeiten
den Tagesablauf
gliederten
und über wichtige
Ereignisse
informierten.
Eine strenge
Läuteordnung
schreibt vor,
an welchen
kirchlichen
Feiertagen
und zu welchen
wenigen
anderen
Gelegenheiten
die Petersglocke
zum Einsatz
kommt.
Dann setzt sich der schwere
Metallkörper,
angetrieben
von Elektromotoren,
langsam
in Schwung, bis Klöppel
und Glockenwand
sich berühren
oder „küssen“,
wie der Fachmann
sagt. Zu diesen
Gelegenheiten
versammeln
sich die Menschen
rund um den
Dom, um den mächtigen
Schlägen
zu lauschen.
Denn die klingen
vor Ort voller
und facettenreicher
als auf vielen
Aufnahmen,
die
im Internet
kursieren.
Man muss nicht religiös
sein, um sich von
dem erhabenen
Klang ergriffen
zu fühlen.
Wer darüber
hinaus
gut zu Fuß und bei Atem ist, kann dem Dicken
Pitter
im Südturm
einen Besuch
abstatten.
Der Aufstieg
über eine
enge Wendeltreppe
mit ausgetretenen
Stufen
ist nichts für Menschen
mit Platzangst,
denn runter
führt der gleiche
Weg wie rauf,
und zwei Personen
können
sich gerade
mal so aneinander
vorbei
drücken. Nach mehr als 260 Stufen
erreicht
man auf 53 Metern
den Glockenstuhl.
Hier hängen
acht der insgesamt
elf Glocken
des Domgeläuts,
darunter
zwei große
aus dem Spätmittelalter:
die Pretiosa
von 1448 und die Speciosa von 1449. Die anderen
stammen
aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert.
Die meisten
von
ihnen
haben
zwei Weltkriege
überlebt.
Nicht so die Vorgängerin
des Dicken Pitters:
Die Kaiserglocke
(Gloriosa) von 1874 wurde
1918 vor Ort zerlegt,
um das Metall
Kriegszwecken
zuzuführen.
Fünf Jahre
später,
im Mai 1923, wurde die Petersglocke
gegossen.
Und sie gab sich von Anfang
an ein bisschen
schwierig.
Nur Glockengießermeister
Heinrich
Ulrich in Apolda
nahe Erfurt
traute
sich das handwerklich
höchst anspruchsvolle
Unterfangen
zu, das unter anderem
eine neue Berechnung
der Glockenform
für diese
Größe
und einen neuen
Schmelzofen
erforderte.
Der Guss gelang
und erbrachte
auch die gewünschten
Klangeigenschaften.
Foto: Michael Schneider
Verschiedene
Schwierigkeiten,
unter anderem
mit der Finanzierung,
verzögerten
die Auslieferung.
Erst eineinhalb
Jahr später
erreichte
die Glocke Köln und wurde
vor 20.000 Menschen
geweiht.
Danach
dauerte
es noch Wochen,
sie im Dom an ihren
Bestimmungsort
auf 53 Metern
Höhe
zu hieven.
An Heiligabend
1924 war der Dicke Pitter endlich
erstmals
zu hören.
Allerdings
nur für drei Schläge. Danach
verstummte
er, weil das Seil der
Läutemaschine
riss. Weitere
zehn Monate
sollten
vergehen,
bis
die tiefe
Stimme
erneut
erklang.
Mit solchen
langen
Wartezeiten
hat die Dombauverwaltung
auch heute zu kämpfen,
wenn es Schwierigkeiten
mit dem
Dicken Pitter gibt. Wie vor sieben
Jahren,
als mitten
im Feiertagsläuten
zum Dreikönigstag
am 6. Januar 2011 die Aufhängung
des
Klöppels
brach, sodass das mehr als 800 Kilogramm
schwere,
massivUMFORMUNG | MÄRZ 2018 85