KUNST UND KULTUR
Foto: Edelstahl Rosswag
massive
Metallstück
auf die Wartungsebene
des Glockenstuhls
stürzte.
Wie sich herausstellte,
lag das nicht an Materialermüdung.
In den 1950er-Jahren
hatten
Handwerker
die Aufhängung
des Klöppels
an einer Stelle
unsachgemäß
mit dem Schneidbrenner
nachgebessert.
Diese Ungenauigkeit
ließ das Material
einseitig
verschleißen
und hatte
schließlich
zum Riss geführt,
wie Untersuchungen
des Europäischen
Kompetenzzentrums
für Glocken an der Hochschule
Kempten
(Allgäu)
zeigten.
Die
Kemptener
Experten
waren
es auch, die 2011 den neuen Klöppel
berechneten.
Der ist 3,20 Meter
lang und mit rund 600 Kilogramm
ein ganzes
Stück leichter
als der Vorgänger.
Gewicht
und Form müssen
individuell
auf eine Glocke abgestimmt
sein.
Nur dann kann der Glockenkuss,
die kurze Berührung
von Klöppel
und Glockenwand,
die Klangfülle
optimal
ausschöpfen.
Ist
die Berührung
zu zaghaft,
fehlen
Resonanzen.
Ist der Klöppel
dagegen
zu schwer, strapaziert
er die Glockenwand,
sodass sie
auf Dauer reißen
kann.
Beim Dicken Pitter war das 1951 passiert.
Der 110 Zentimeter
lange
Riss am Schlagring
wurde
erst 1956 geschlossen.
Schon
damals
hatte
man einen kleineren
Klöppel
eingesetzt
– eben
jenen mit rund 800 Kilogramm
Gewicht
– und die Glocke um
20 Grad gedreht,
um die reparierte
Stelle
zu schonen.
Mehr als
ein halbes
Jahrhundert
später
wurde
der neue, wissenschaftlich
berechnete
Klöppel
hergestellt,
in Filmen
und Videos
gut
dokumentiert.
Den Auftrag
dafür
hatte
die Freiformschmiede
Edelstahl
Rosswag
in Pfinztal
bei Karlsruhe
erhalten,
die
– neben anderen
Schwerpunkten
– auf Klöppel
spezialisiert
ist. Ihre Produkte
bringen
viele berühmte
Glocken zum Klingen,
unter anderem
die Pummerin
im Wiener
Stephansdom,
die Glocken im Erfurter
Dom, in der Dresdner Frauenkirche,
im
Kaiserdom
zu Speyer und im Straßburger
Münster.
Fünf Schmiedegänge
brauchte es, um das Werkstück
aus einer
Tonne
Spezialstahl
in Form zu bringen.
Danach
wurde
gefräst,
gebohrt
und poliert,
bis der Klöppel
Form annahm
– inklusive
der großen
Aussparungen
in der Anschlagkugel,
in die die
Bronzeballen
für den weicheren
Glockenkuss
eingesetzt
wurden.
Weitere
Arbeiten,
etwa für die Aufhängung,
erledigte
eine
Spezialfirma
aus den Niederlanden.
Im Dezember
2011 schwebte der neue Klöppel,
von Seilen
gezogen,
in die Glockenstube.
Das Justieren,
verbunden
mit mehrfachem
Probeläuten,
dauerte
mehrere
Tage. Zugleich
wurden
zwei neue Elektromotore
als Antrieb
montiert,
die auf die neuen
Gewichtsverhältnisse
optimiert
wurden.
Am 7. Dezember
2011
konnte der Dicke Pitter
wieder
läuten.
Im Frühjahr
2017 verstummte
er allerdings
erneut.
Diesmal
rein
vorsorglich,
weil die Glockenexperten
aus Kempten
weiteren
Optimierungsbedarf
diagnostiziert
hatten.
Als sie 2016 routinemäßig
den musikalischen
Fingerabdruck
aller
Glocken des
Domgeläuts
nahmen,
stellte
sich heraus,
dass es beim Dicken
Pitter seit jeher
eine leichte
Ungenauigkeit
im Anschlag
gibt.
Die soll nun durch eine neue Aufhängeplatte
ausgeglichen
werden.
Im Ergebnis
soll der Klöppel
die Glockenwand
noch
gleichmäßiger
und weicher
küssen
und einen schöneren
Ton
erzeugen.
In der Zwischenzeit
liegt er in Tücher eingeschlagen
im Glockenstuhl.
Erneut
heißt es warten,
bis der Auftrag
erteilt
und ausgeführt
ist. Die wichtigen
Aufgaben
des Dicken Pitter
übernimmt
derweil
die Nr. 2 im Domgeläut:
die Pretiosa
– die Kostbare.
Als sie
1448 gegossen
wurde,
war sie die größte Glocke im Abendland,
und sie gilt bis heute als eine der wohlklingendsten
Glocken
der Welt. Normalerweise
kommt sie beim feierlichen
Geläut
zum Einsatz,
an kirchlichen
Feiertagen,
an denen
die Läuteordnung
den Dicken Pitter
schweigen
lässt.
So würdig
und klangvoll
auch die Pretiosa
durch das Kirchenjahr
führt: Die Kölner
vermissen
das besondere
Schlagen
ihrer
Petersglocke.
Dass sie an Weihnachten
2017 und zum darauffolgenden
Jahreswechsel
schwieg, war Stadtgespräch,
auch
unter Nicht-Gläubigen
und Zugezogenen.
Was viele
dagegen
noch nicht mitbekommen
haben:
Den stolzen
Titel
als größte
freischwingende
Glocke der Welt hat der Dicke Pitter
in der jüngeren
Vergangenheit
verloren.
Ende 2016 stellte
die Glockengießerei
Grassmayr
in Österreich
eine noch schwerere
Glocke
für die neue rumänisch
orthodoxe
Kathedrale
in Bukarest
her.
Der Liebe
der Kölner
zum Dicken Pitter
tat das jedoch
keinen
Abbruch.
Wenn er zu Ostern
2018 wieder
erklingt,
werden
Menschen
auf der Domplatte
stehen
und dem wohltönenden
innigen
Kuss von Metall
auf Metall
lauschen.
Hinter
der gotischen
Fassade
des Kölner
Doms steckt ein überraschendes
Stück Industriegeschichte.
Denn das 1248 begründete
Bauwerk
blieb Jahrhunderte
unvollendet
und wurde
erst 1880 fertiggestellt.
Erst das wachsende
Nationalbewusstsein
im 19. Jahrhundert
und der zufällige
Fund der beiden
Hälften
des mittelalterlichen
Fassadenplans
für die Domtürme
setzten
den Impuls
für die Fertigstellung.
Beim Weiterbau
kam modernste
Technik
zum Einsatz,
unter
anderem
bei der Konstruktion
des Dachstuhls
aus Stahl, der das schwere
Bleidach
des Doms trägt. Als er 1860 errichtet
wurde,
war er eines der größten
und
modernsten
Eisenbauwerke
Europas.
86 massivUMFORMUNG | MÄRZ 2018