TECHNOLOGIE UND WISSENSCHAFT
AUTOREN
Matthias Hell, M. Eng.
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Fraunhofer-Institut für
Betriebsfestigkeit und
Systemzuverlässigkeit LBF in Darmstadt
Dr.-Ing.
Torsten Richter
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der
Abteilung Werkstoffe und Bauteile der
Materialforschungs- und Prüfanstalt MFPA
an der Bauhaus-Universität Weimar
Prof. Dr.-Ing.
Joachim W. Bergmann
ist ehemaliger Leiter
der Materialforschungs- und Prüfanstalt
MFPA an der Bauhaus-Universität Weimar
Für die Verlagerung
der Bauteildimensionierung
und Optimierung
in den virtuellen
Produktentwicklungsraum
steht das
Konzept
der Synthetischen
Wöhlerlinien
zur Verfügung,
welche
die Abschätzung
der Bauteillebensdauer
auf Grundlage
einfacher
Werkstoffkennwerte
sowie
numerischer
Ermittlung
von Einflussfaktoren
aus Geometrie,
Fertigung
und Betriebsbelastung
gestatten,
ohne dass hierfür der übliche Aufwand
an zeit- und kostenintensiven Schwingversuchen nötig ist. Um
die Abschätzungsgüte
der Synthetischen
Wöhlerlinien
hinsichtlich
neuer
Werkstoffsysteme
und relevanter
Einflussfaktoren
zu verbessern
und die Anwendbarkeit
der Synthetischen
Wöhlerlinien
nach SWL99 von 1999 auf höchstfeste
Stähle
auszudehnen,
wurde
von der Materialforschungs-
und Prüfanstalt
an der Bauhaus-
Universität Weimar MFPA und dem Fraunhofer-
Institut
für Betriebsfestigkeit
und Systemzuverlässigkeit
LBF, Darmstadt, ein Forschungsprojekt
in Zusammenarbeit
mit der Forschungsvereinigung
Stahlanwendung
e. V. (FOSTA)
durchgeführt.
Insbesondere
im Hinblick
auf die Lebensdauerabschätzung
von Schmiedebauteilen
wurden
die Synthetischen
Wöhlerlinien
im Detail
optimiert.
Durch die Berücksichtigung
verschiedener
prozess-
und werkstoffspezifischer
Einflussgrößen,
wie beispielsweise
der Anisotropie
von Umformgefügen
oder der
Wirkung
von Härteverfahren
auf die Beanspruchbarkeit,
wird die
Genauigkeit
bei der Lebensdauerabschätzung
von massivumgeformten
Bauteilen
deutlich
verbessert.
LEBENSDAUERABSCHÄTZUNG
MIT DEN SYNTHETISCHEN
WÖHLERLINIEN
Die Synthetischen
Wöhlerlinien
1, 2 beschreiben
die Beanspruchbarkeit
von Bauteilen
von der Bruchlast
bis hin zur
Dauerfestigkeit
in Abhängigkeit
der Nennspannung
beziehungsweise
Dr.-Ing.
Rainer Wagener
ist Gruppenleiter Bauteilgebundenes
Werkstoffverhalten am Fraunhofer-
Institut für Betriebsfestigkeit und
Systemzuverlässigkeit LBF in Darmstadt
Dipl.-Ing.
Andreas Kleemann
ist Leiter der Arbeitsgruppe
Betriebsfestigkeit und Werkstofftechnik
der Materialforschungs- und Prüfanstalt
MFPA an der Bauhaus-Universität Weimar
Dr.-Ing.
Andreas Diemar
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter
in der Abteilung Werkstoffe und Bauteile
der Materialforschungs- und Prüfanstalt
MFPA an der Bauhaus-Universität Weimar
der Last (Bild 1). Als Aufhängungspunkt
der Synthetischen
Wöhlerlinie
dient dabei
die Lastamplitude
der Bauteildauerfestigkeit
SD, das heißt der Abknickpunkt
zwischen
Zeitfestigkeit
und Dauerfestigkeit, welcher
im einfachsten
Fall aus der Werkstoffwechselfestigkeit
σW,zd und einem
Lastübertragungsfaktor
beziehungsweise
der Kerbformzahl
Kt berechnet
wird. Zur Abschätzung
der zyklischen
Werkstoffeigenschaften
werden
quasistatische
Werkstoffkennwerte,
wie die
Zugfestigkeit
Rm oder die Streckgrenze
RP, welche
durch Zugversuche
bestimmt
werden
können,
verwendet.
Bei der Ermittlung
der Bauteildauerfestigkeit
werden
Einflussfaktoren
wie
beispielsweise
der Mittelspannungseinfluss,
die Temperatur
oder Oberflächenbeschaffenheit
sowie
Übertragbarkeitsfaktoren
berücksichtigt.
Neben
der Bauteildauerfestigkeit
SD ist die plastische
Grenzlast,
das heißt die Last, bei welcher
der Querschnitt
vollständig
plastifiziert,
zu bestimmen.
Hierzu
kann eine FE-Simulation
mit
elastisch-idealplastischem Werkstoffverhalten
angewendet
werden.
Die Neigung
k im Zeitfestigkeitsbereich
der Synthetischen
Wöhlerlinie
wird anschließend
aus dem Abstand der
plastischen
Grenzlast
SP und der Dauerfestigkeit
SD bestimmt.
Die Festlegung
der Schwingspielzahl
ND am Abknickpunkt
zur
Dauerfestigkeit
erfolgt
in Abhängigkeit
der Neigung
k. Die
Schwingspielzahl
NP bei der plastischen
Grenzlast
SP wird
anschließend
aus der Gleichung
der Wöhlerlinie
im Zeitfestigkeitsbereich
bestimmt.
Im Kurzzeitfestigkeitsbereich
verläuft
die Synthetische
Wöhlerlinie
von der plastischen
Grenzlast
(SP bei NP) bis zur Bruchlast
SB, die aus der plastischen
Grenzlast
und dem Verhältnis
der Zugfestigkeit
Rm bezogen
auf die
Streckgrenze
RP ermittelt
wird.
massivUMFORMUNG | MÄRZ 2019 55